Feiern als gäbe es kein Morgen? Nachhaltigkeit und das Oktoberfest

Shownotes

Das Oktoberfest ist ein Fest der Superlative: fast sieben Millionen Besucher*innen, sieben Millionen ausgeschenkte Maß Bier, Tonnen an verzehrten Brathendln – und damit auch Haufen an Müll und ein enorm hoher Energieverbrauch. Doch 16 Tage Feiern und Spaß sind kein Freifahrtschein, um alle guten Vorsätze in Sachen Nachhaltigkeit über Bord zu werfen. Wie nachhaltig könnte das größte Volksfest der Welt eigentlich sein und werden? Und wo sind die Stellschrauben?

Dr. Nana Koschnick, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung Stadtkultur des Münchner Stadtmuseums, bringt das Thema auf den Punkt: Das Oktoberfest ist wie ein Brennglas für die Stadt, denn hier werden gesellschaftliche Entwicklungen besonders sichtbar. Sie zeigt, wie sich die Wiesen in den letzten Jahrhunderten entwickelt hat. Während Besucher*innen im 19. Jahrhundert eigene Bierkrüge dabei hatten, stehen wir heute vor Bergen von Glasbruch und der Frage: Wie kann die Wiesn bis 2028 klimaneutral werden?

Inhalt:

[00:00] Einleitung

[04:39] Interview mit Dr. Nana Koschnick, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Münchner Stadtmuseums und Kuratorin von Green City in "What the City. Perspektiven unserer Stadt"

[18:30] Zusammenfassung und Ausblick

[25:22] Goodie

Abbildungen/Verweise:

Caspar Klotz, Auf der Theresienwiese, um 1830, Öl/Weißblech, 32 cm x 26,5 cm, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Grafik / Gemälde

Bodenfunde von der Theresienwiese, 1870–1910, Steinzeug, Hühnerknochen, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Stadtkultur

Weiterführende Ressourcen:

Weitere spannende Einblicke in das Thema bekommt ihr in der Ausstellung "What the City. Perspektiven unserer Stadt" im Kapitel "Green City".

Kontaktinformationen:

Die Redaktion ist zu erreichen unter presse.stadtmuseum@muenchen.de

Credits:

Recherche und Skript: Anna Scholz

Redaktion: Carolina Torres, Carol Pfeufer, Maria Tischner, Ulla Hoering, Lena Hensel

Produktion: Anna Scholz, Carolina Torres, Sarah-Laurien Weiher, Johannes Weber

Host: Anna Scholz

Audio-Produktion: mucks audio (Sarah-Laurien Weiher, Johannes Weber)

Musik: mucks audio (Johannes Weber)

Transkript anzeigen

Anna Scholz, Host

Dr. Nana Koschnick, wiss. Mitarbeiterin der Sammlung Stadtkultur des Münchner Stadtmuseums

verschiedene Stimmen einer Straßenumfrage aus München, Juni 2025

Anna Scholz

6,8 Millionen Besucher*innen im Jahr 2024.

102 gastronomische Betriebe.

7 Millionen Liter ausgeschenktes Bier.

370.000 verspeiste Brathendl.

1.000 Tonnen Abfall.

Das Oktoberfest macht seinem Titel als "größtes Volksfest der Welt" mit diesen Statistiken alle Ehre. Aber geht bei diesen Dimensionen nicht ein Thema unter?

UMFRAGE

Ja, spannendes Thema. Tatsächlich, wenn ich auf dem Oktoberfest bin, dann denke ich gar nicht so sehr daran.

Das Thema: Nachhaltigkeit.

UMFRAGE

Ich weiß nicht, glaube ich nicht so der beste Ort für Nachhaltigkeit aktuell.

Anna Scholz

Ist das wirklich so? Wir haben die Münchner*innen gefragt, wie wichtig ihnen Nachhaltigkeit auf der Wiesn ist.

UMFRAGE

Nachhaltigkeit, also ich muss gestehen, ich frage nicht, ob das Hendl jetzt halt aus Bayern kommt oder tatsächlich aus einem anderen Bundesland.

UMFRAGE

Also ich selber glaube, ich muss mir ehrlich zugestehen, dass mir das erst immer im Nachhinein auffällt, wie wichtig das eigentlich ist und dann wirklich im Moment, wenn du dort drin bist, bist du mit so vielen anderen Eindrücken beschäftigt, dass es dir gar nicht groß auffällt, dass der eine seine Bratwurst am Boden hinschmeißt oder der andere sein Bier über irgendwo jemand anderen drüber kippt oder keine Ahnung, noch schlimmere Sachen macht.

Anna Scholz

Hier fällt schon mal auf: Beim Begriff "Nachhaltigkeit" denken wir an ganz unterschiedliche Dinge. Diese beiden Wiesn-Besucher*innen haben schon mal keinen großen Fokus auf das Thema gelegt. Aber es gibt auch andere, die sehr wohl darauf achten.

UMFRAGE

Also Nachhaltigkeit für mich auf dem Oktoberfest ist an sich schon sehr wichtig, wenn man mal drüber nachdenkt, was im Allgemeinen so auf der Welt passiert, sei es Energieverbrauch, sei es Verschmutzung und und und.

UMFRAGE

Also ich achte schon ein bisschen darauf, gerade vor allem, weil ich mich vegan ernähre, was es so alles an Möglichkeiten gibt.

Anna Scholz

Und auch der Stadt München ist die Nachhaltigkeit auf der Wiesn wichtig, sagt Dr. Nana Koschnick vom Münchner Stadtmuseum.

Dr. Nana Koschnick, wiss. Mitarbeiterin der Sammlung Stadtkultur des Münchner Stadtmuseums

Das Thema Oktoberfest ist ganz zentral, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit und die Stadt München geht. Weil beim Oktoberfest, kann man sagen, findet eigentlich alles wie so unter einem Brennglas statt. Man kann das Oktober Fest quasi als Laborsituation begreifen.

Anna Scholz

Die Landeshauptstadt München hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2035 sogenannte Klimaneutralität zu erreichen. Das ist sportlich, aber für das Oktoberfest gilt ein noch ambitionierteres Ziel: Das soll nämlich bis 2028 klimaneutral werden. Das ist in drei Jahren!

Nana Koschnick

Aber es sind momentan ungefähr eine Handvoll der Festzelte klimaneutral. Also wirklich ausdrücklich klimaneutral.

Anna Scholz

Wie soll das also gehen? Darüber – und was die größten Hebel beim Thema Nachhaltigkeit sind – sprechen wir in dieser Folge.

Wenn sich im Spätsommer die ersten Blätter bunt färben, veranstaltet München das größte Volksfest der Welt – um sich selbst, bayerisches Wir-Gefühl und das Leben zu feiern. Das Oktoberfest ist eine große Gaudi – und schlägt sich gleichzeitig mit dem Klischee herum, einfach nur ein kollektives Besäufnis zu sein. Aber die Wiesn ist mehr als Bier und Brathendl – und genau das wollen wir euch in diesem Podcast zeigen. Sie passt sich dem Zeitgeist an und ist gleichzeitig seit über 200 Jahren eine Insel der Verlässlichkeit und Tradition – und dabei heute beliebt wie nie. Wie machen die das?

Ich bin Anna Scholz, Journalistin und Kulturwissenschaftlerin. Und in "Wiesn Rewind", der zweiten Staffel von "Zeitschleifen" geht es um das Oktoberfest, beziehungsweise die Wiesn – früher und heute.

Treue Hörer*innen unseres Podcasts wissen, dass wir hier meistens einer ähnlichen Struktur folgen: Zuerst reisen wir mit euch in die Vergangenheit, schauen uns das Thema der Folge aus einer historischen Perspektive an und machen dann gemeinsam den Sprung in die Gegenwart. Heute machen wir das etwas anders – denn so ein bisschen Abwechslung tut ja jeder Beziehung gut.

Wir werden uns in dieser Folge die – wie wir finden – drei größten Stellschrauben in Sachen Nachhaltigkeit angucken: Ernährung, Abfall und Energie. Und natürlich immer auch mit einem kleinen historischen Schwenk. Und dazu spreche ich mit einer Person, die sich mit den Themen "München" und "Nachhaltigkeit" besonders gut auskennt. Ihr habt sie eben schon gehört.

Nana Koschnick

Mein Name ist Nana Koschnick. Ich arbeite in der Sammlung Stadtkultur als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Wir haben unter anderem einen Themenschwerpunkt zum Oktoberfest bei uns in der Sammlung.

Anna Scholz

Nana hat empirische Kulturwissenschaft studiert und arbeitet inzwischen seit 16 Jahren im Münchner Stadtmuseum. Sie hat in der Ausstellung "What the City" unter anderem das Kapitel "Green City" kuratiert. Dort geht sie der Frage nach, was in München alles passiert, damit die Stadt grüner und klimagerechter wird und lebenswert bleibt.

Das Thema Nachhaltigkeit liegt ihr sowohl privat als auch beruflich am Herzen.

Nana Koschnick

Weil ich Teil der Gesellschaft als Privatperson bin, ist es meine Aufgabe, mich um Nachhaltigkeit zu sorgen, meiner Ansicht nach im Sinne des Planeten, auf dem wir Gast sind. Und gleichzeitig bin ich aber auch als Person des Münchner Stadtmuseums dafür zuständig, gesellschaftliche Phänomene, gesellschaftlichen Wandel, der die Stadt München befasst, beschäftigt und der Frage, wie er die Stadt München gefasst und beschäftigt, nachzugehen und in den Sammlungen abzubilden.

Anna Scholz

Nana erzählt mir, dass es natürlich schon immer Essen und Trinken auf dem Oktoberfest gab – das aber zu Beginn noch gar nicht so im Zentrum stand wie heute. Wir erinnern uns, mit der Wiesn begann alles Anfang des 19. Jahrhunderts.

Nana Koschnick

Hier hatten die Wirte der Stadt einfache Bierbuden, Bretterbuden, aufgestellt und errichtet, aus denen heraus Getränke verkauft wurden. Für die Speisen sorgten gerade in den ersten Jahren noch die sogenannten fliegende Händlern und Händlerinnen, die aus ihrem Bauchladen heraus ein bisschen vielleicht so, wie man es heute auch noch kennt, etwa Speisen wie Rettich, Nüsse, Obst, Käse und Wurst verkauften.

Anna Scholz

Man hat das angeboten, was einfach zu essen war und im Herbst geerntet wurde – klassisches saisonales und regionales Fingerfood. Sehr nachhaltig. Das Brathendl und der Steckerlfisch waren damals noch weit weg. Das kommt erst Ende des 19. Jahrhunderts dazu. Genauer: Seit 1885 gibt es die "Hühner- und Entenbraterei Ammer" auf der Wiesn, die als "älteste Hendl-Braterei der Welt" gilt. Und 1904 kommt eine Fischerhütte dazu, die wir heute als "Fischer-Vroni" kennen. Und damit etablieren sich diese beiden Speisen als kulinarische Oktoberfest-Klassiker.

Nana Koschnick

Die Palette hat sich ein bisschen erweitert, aber im Wesentlichen ist sie gleich geblieben.

Anna Scholz

Aber vor allem der Fleischkonsum steigt seit Anfang des 20. Jahrhunderts stetig an.

Nana Koschnick

Ja. Also diese Veränderung des Fleischkonsums, da muss man vielleicht auch bedenken, dass der Konsum von Fleisch in früheren Zeiten auch immer Ausdruck von Wohlstand war.

Anna Scholz

Und klar, vor hundert Jahren war täglicher Fleischkonsum für die meisten Menschen völlig undenkbar – weil es sehr teuer war. Fleisch war etwas, das man sich gegönnt hat, an Sonntagen oder eben zu Festlichkeiten wie dem Oktoberfest. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in Zeiten des Wirtschaftswunders, wird Fleisch immer verfügbarer. Und auf der Wiesn auch irgendwie immer wichtiger – denn das Oktoberfest wird seit den 1980ern zu einem Bierfest.

Nana Koschnick

Das Bier steht ganz zentral im Mittelpunkt auf dem Festgelände. Und fürs Biertrinken brauche ich, sollte ich auf eine anständige Grundlage achten. Und da haben sich eben auch Speisen wie die Wurstsemmel oder das halbe Hendl durchaus bewährt.

Anna Scholz

Man geht heute nicht mehr aufs Oktoberfest, um sich Innovationen anzugucken – wie wir in Folge Vier gehört haben, und auch nicht, um dem bayerischen Kronprinzenpaar zuzujubeln, darüber haben wir ja in Folge Drei gesprochen. Nein, heute steht für die meisten Trinken, Essen und Spaß haben im Vordergrund. Das ist auch nicht verwerflich, aber aus Nachhaltigkeitsperspektive ist ein halbes Hendl eben nicht die beste Grundlage für ein bis fünf Maßn Bier.

Denn – breaking news – mit unserem kollektiven Fleischkonsum schaden wir dem Klima sehr. Und dazu zählen eben auch die verspeisten 370.000 Hendl bei der Wiesn. Umgekehrt ist also fleischfreie Ernährung ein großer Hebel in Sachen Nachhaltigkeit. Klar, das will man als Fleischesser*in vielleicht nicht hören, gerade dann nicht, wenn man ausgelassen feiern möchte – aber: Wie wäre es mit einer Alternative?

Nana Koschnick

Also beispielsweise die Käsespatzen oder dergleichen, die auch eine gute Grundlage sein können. Und die gibt es dann auch mit veganem Käse, aber in die Richtung könnte man sich das vorstellen.

Anna Scholz

Kurz zur Erinnerung: Das Oktoberfest möchte bis 2028 klimaneutral sein, das heißt, in drei Jahren möchte das Oktoberfest keine zusätzlichen Treibhausgase verursachen. Das kann nur dann klappen, wenn Emissionen vermieden, reduziert oder ausgeglichen werden – und wenn das, was an Treibhausgasen noch ausgestoßen wird, an anderer Stelle gebunden wird, so, dass die Bilanz am Ende Null ergibt. Und für diese Bilanz ist das Lebensmittelangebot auf der Wiesn ein ganz zentraler Punkt.

Nana Koschnick

Die Klimaneutralität kann nicht erreicht werden, wenn man das Thema Nahrung und Ernährung auf dem Festgelände nicht in den Blick nimmt. Das ist auch den Wirten und den Wirtinnen bewusst und hier findet ein Wandel statt. Das Angebot steigt. Aber es steigt sehr, sehr langsam.

Anna Scholz

Man müsste den Wandel so lenken, dass wir bei einer möglichst fleischfreien und regionalen Verköstigung in Bio-Qualität landen. Optionen gibt es dafür inzwischen eigentlich genug. Auch in manchen Festzelten findet man neben Kässpatzen auch schon veganen Leberkäse oder ein veganes Brotzeitbrettl – aber noch lange nicht überall.

Nana Koschnick

Was das Essen angeht, da ist es auch so, dass in rund einer Handvoll Festzelten derzeit ein wahrnehmbarer Anteil von bio-veganen Hauptspeisen angeboten wird. Und ich meine, es sind ungefähr drei Festzelte, die auch vegane Brotzeitbrettl anbieten. Also da ist noch Luft nach oben.

Anna Scholz

Wow. Drei von 38 Festzelten. Ähnlich mau sieht es aktuell beim Bio-Angebot aus.

Nana Koschnick

Es ist eher sogar so, dass der Bioanteil bei den Lebensmitteln stagniert. Und der Anteil an Fleischgerichten aus ökologischer Herstellung anscheinend sogar wieder ein bisschen zurückgegangen ist.

Anna Scholz

Die "Münchner Initiative Nachhaltigkeit" – kurz MIN – hat berichtet, dass im Jahr 2024 nur in fünf Festzelten Bio-Hendl angeboten wurden. 2023 waren es immerhin sieben Zelte. Hier gibt es also sogar einen Rückgang. Und der hat bestimmt auch wirtschaftliche Gründe.

Nana Koschnick

Also wenn ich irgendwie sehe, das Bio-Hendl kostet 23 Euro auf der Wiesn ungefähr, das ist ein halbes Hendl, dann ist das schon eine Hausnummer. Und das halbe Hendl esse ich in der Regel auch zu meinem Bier sozusagen als deftige Grundlage. Und das Bier kostet jetzt im Schnitt 15, 16 Euro auf der Wiesn, die Maß, dann bin ich da schon einen ordentlichen Batzen los.

Anna Scholz

Aber ganz ehrlich, auch ein Nicht-Bio-Hendl ist nicht günstig auf der Wiesn, 2024 hat man dafür 16 Euro aufwärts gezahlt. Mir stellt sich hier die große Frage: Wer hat die Verantwortung, dass sich hier etwas ändert? Die Wirt*innen scheinen die noch nicht im großen Stil zu übernehmen. Liegt es am Ende wieder mal an den Endverbraucher*innen?

Nana Koschnick

Wenn jeder von uns bei sich selber anfangen würde und ab sofort einfach kein Hendl essen würde, dann wäre schon viel geschafft, da hätten wir ein Problem beseitigt, weil dann würde auch mit Sicherheit das Angebot entsprechend reduziert werden.

Anna Scholz

Ja klar, aber realistisch betrachtet, wird das wohl nicht passieren, dass knapp sieben Millionen Oktoberfestbesucher*innen freiwillig auf Fleisch verzichten. Vor allem, wenn es ihnen an jeder Ecke angeboten wird. Also, eigentlich müsste es doch dringend eine Veränderung im Angebot geben.

Nana Koschnick

Also in dem Moment, wo nur noch vegane Kost auf dem Oktoberfest angeboten wird werde ich vegane Kosten konsumieren.

Anna Scholz

Aber könnt ihr euch vorstellen, was für ein Aufschrei durch Bayern gehen würde, wenn es von jetzt auf gleich gar kein Fleisch mehr auf der Wiesn geben würde? Ja, eben. Und wie so oft in Nachhaltigkeitsfragen, liegt die Antwort wohl irgendwo in der Mitte: Der Wandel muss sowohl von unten, also uns Einzelpersonen, als auch von oben, von den Verantwortlichen, vorangetrieben werden. Und da könnte das sehr ambitionierte Ziel helfen, die Wiesn bis 2028 klimaneutral zu gestalten.

Nana Koschnick

Das heißt, jeder, der auf dem Festgelände etwas anbietet, muss sich bewegen. Und das ist natürlich einerseits durch die Vergaberegeln der Stadt München möglich, durch Richtlinien, die befördern können, dass sich die Verkostung mehr hin zu biologischer, regionaler und saisonaler Kost verändert. Das ist natürlich auch durch das freiwillige Angebot der Wirt*innen möglich. Also das ist schon mal eine Kombination.

Anna Scholz

Eine Kombination, die in nur drei Jahren großen Wandel herbeiführen kann? Das werden wir sehen. Lasst uns doch an dieser Stelle mal auf ein Themenfeld gucken, bei dem sich schon deutlich mehr bewegt hat als bei der Ernährung. Und zwar auf die zweite große Stellschraube: den Abfall.

Abfall ist deswegen ein wichtiger Aspekt für Nachhaltigkeit, weil sowohl die Herstellung der Verpackungen – die hinterher weggeschmissen werden – als auch eben deren Entsorgung Emissionen verursachen, und auch bei uns Recycling-Potentiale oft nicht genutzt werden. Wenn wir das Thema Müll auf der Wiesn betrachten, dann können wir tatsächlich eine Glockenkurve beobachten: Von wenig Müll zu Beginn des Oktoberfest, über sehr viel Müll, bis zu immer noch viel Müll, aber nicht mehr ganz so viel Müll. Ich meine, in den ersten hundert Jahren des Oktoberfests gab es ja zum Beispiel auch noch gar kein Plastik und kaum Einwegverpackungen und auch das Bier trank man damals aus seinem eigenen Krug.

Nana Koschnick

Und am Anfang war es auch noch so, dass die Wirte haben natürlich das Bier mitgebracht und die hatten auch ein paar Krüge. Aber es war ganz üblich, dass man auch seinen eigenen Krug aufs Festgelände mitgebracht hat. Das lag einfach auch an den hygienischen Gründen. Und hier lässt sich vielleicht von einem sehr frühen und sehr effektiven Mehrwegsystem sprechen.

Anna Scholz

Also genauso wie wenn ich mit meinem eigenen Becher ins Café gehe, um mir einen Cappuccino mit Hafermilch zu holen.

Nana Koschnick

Das sieht man auch durchaus auf Gemälden bei uns in der Sammlung. Also wie dann der Wirt dem Gast beispielsweise in sein Krügerl das Bier einschenkt.

Anna Scholz

Das Bild könnt ihr in der Sammlung Online ansehen, verlinken wir euch in den Shownotes sehen.

Wer jetzt übrigens denkt, "ach super, dann bring ich doch dieses Jahr einfach meinen eigenen Krug mit" – das geht leider nicht. Ihr dürft keine Glasbehälter mit aufs Wiesn-Gelände nehmen. Aber tatsächlich gibt es schon seit Anfang der 1990er Jahre Bemühungen, weniger Müll zu produzieren.

Nana Koschnick

Aber 1991 war es dann zum Beispiel so, dass zum ersten Mal die Regelungen zur Abfallreduzierung in den Betriebsvorschriften des Oktoberfests aufgenommen wurden und seither beispielsweise ausschließlich Mehrweggeschirr und Mehrwegbesteck zugelassen ist. Also das Plastikbesteck ist verbannt seit Anfang der 90er Jahre.

Anna Scholz

Trotz des Plastik-Verbots ist Abfall, der im Zusammenhang mit Essen und Trinken anfällt, heute noch die größte Müllquelle auf der Wiesn.

Nana Koschnick

Also dazu gehören leere Bierkrüge genauso wie Essensreste, Servietten, Verpackungen und dergleichen.

Anna Scholz

Bierkrüge werden natürlich nicht einfach so weggeschmissen, sondern nur dann entsorgt, wenn sie kaputt gehen.

Insgesamt wurden 2024 etwa 1.000 Tonnen Müll auf der Wiesn zusammengesammelt. Das sind eine Million Kilogramm. Oder: 40 große Müllwagen voll. Oder: Das Gewicht von 200 Elefanten.

Nana Koschnick

Der Löwenanteil ist da der Restmüll, also mit über 700 Tonnen. Und danach kommen dann Papier und gemischter Glasbruch.

Anna Scholz

Man kann jetzt sagen, boah, 200 Elefanten, das ist eine ganze Menge Müll. Und ja, ist es auch. Aber aufs gesamte Münchner Jahr betrachtet, ist es zwar ein Peak, aber bei sieben Millionen Oktoberfestbesucher*innen relativiert sich diese Zahl auch irgendwie wieder. Was nicht heißen soll, dass in Sachen Müllvermeidung schon alles getan ist. Aber: Es tut sich auf jeden Fall mehr als bei der Ernährung.

Nana Koschnick

Oder auch die Reduktion von Papierhandtüchern auf dem Festgelände. Das sind oft Sachen, an die denkt man nicht, aber wenn man sie dann in der Summe betrachtet, hat man auch hier viel Potenzial, wenn man die Papierhandtücher weglässt, indem man zum Beispiel moderne Handlufttrocknungsgeräte einsetzt, wie sie beispielsweise in Kufflers Weinzelt zum Einsatz kommen.

Anna Scholz

Auch in Sachen Abwasser ist die Wiesn schon ziemlich weit.

Nana Koschnick

Seit Ende des 20. Jahrhunderts, also Ende der 90er Jahre, gibt es auch hier ein Recyclingprojekt. In einigen Festhallen wird Wasser beispielsweise eingespart, in dem ressourcenschonende Grauwassernutzungsanlagen zum Einsatz kommen. Also sprich: Das Spülwasser der Bierkrugspülmaschinen wird nicht ins Abwasser geleitet, sondern wiederverwendet, beispielsweise dann in den Zelttoiletten.

Anna Scholz

Also, ich fasse mal kurz zusammen: Beim Thema Ernährung – also bio und fleischfreier Kost – ist auf der Wiesn noch sehr viel Luft nach oben, obwohl es einer der größten Hebel auf dem Weg zur Klimaneutralität wäre. Es gibt echt noch sehr wenige bio und fleischfreie Angebote. Wenn es um Abfall geht, ist schon mehr passiert. Seit den 1990er Jahren gibt es Regelungen und Projekte zur Abfallvermeidung und zum Recycling.

Nach Ernährung und Abfall schauen wir jetzt auf den dritten großen Hebel in Sachen Nachhaltigkeit beim Oktoberfest – die Energie.

2019 veröffentlichten Forscher*innen der TU München Daten, die zeigten, dass es auf dem Festgelände nicht nur wärmer als ringsum war, sondern auch die Konzentration des Treibhausgases Methan deutlich ansteigt. Sechs Mal höher war sie, als zu der Zeit vor und nach dem Oktoberfest.

Nana Koschnick

Also das Methan ist ja ein Treibhausgas. Es ist über 30 Mal stärker als Kohlendioxid, also CO2. Deshalb wurden auch die Forscher der TU München hellhörig, als sie plötzlich bei einem Messversuch viel mehr Methan maßen als üblicherweise.

Anna Scholz

Methan entsteht vor allem durch die Zersetzung von organischem Material. Es wird unter anderem von Kühen und anderen Wiederkäuern während ihrer Verdauungsprozess erzeugt. Auch wir Menschen stoßen mit jedem Pups eine kleine Menge Methan aus. Aber auch fossile Brennstoffe wie Erdgas setzen Methan frei. Und bei den gemessenen Mengen in München, war den Forscher*innen schnell klar: So viel können auch sieben Millionen Menschen nicht pupsen. Sie suchten nach einer anderen Ursache.

Nana Koschnick

Und dafür sind eben ursächlich der Gasgrill, Hendlgrill, der Steckerlfisch, die Bratwürste. Also gebraten und geheizt wird auf dem Oktoberfest mit Erdgas, das zu 96% aus Methan besteht.

Anna Scholz

Die Forscher*innen wollen weitere Messungen anstellen, um dann Lösungen vorschlagen zu können.

Aber überhaupt ist die Wiesn ein ganz schöner Energieschlucker.

Nana Koschnick

Der Energieverbrauch bei einer durchschnittlich 16 Tage dauernden Wiesn, der entspricht ungefähr der Menge von rund 1.000 Münchner Haushalten im Jahr.

Anna Scholz

Und auch hier passiert schon mehr als beim Thema Ernährung. Es wird versucht, die Energiebilanz mit klimafreundlicher Technologie aufzubessern: mit Ökostrom, LED-Lampen oder Solardächern auf einigen Zelten. Das ist auch nach wie vor nötig, denn bisher sind nur eine Handvoll der 38 Festzelte wirklich klimaneutral.

Nana Koschnick

Man kann erkennen, ob ein Zelt klimaneutral ist. Indem Sie eine Plakette führen müssen, die in der Regel am Eingang, an der Außenwand, irgendwo sichtbar ist, die ist weiß-blau und steht "klimaneutral" drauf.

Anna Scholz

Für die übrigen Wirt*innen herrscht jetzt großer Druck, bis 2028 ebenfalls Klimaneutralität zu erreichen. Nur bedeutet das nicht, dass es dann nur noch vegane Kost und keinen Abfall mehr geben wird.

Nana Koschnick

Also auch die Klimaneutralität wird in der Regel noch dadurch erreicht, dass ich das eigene, unvermeidbare Emissionsaufkommen durch entsprechende Projekte an anderer Stelle wieder ausgleiche.

Anna Scholz

Kompensation nennt man das. Und dazu gibt es häufig die Kritik, weil man es auch als eine Art Ablasshandel sehen kann. Also, es ist okay, an einer Stelle zu sündigen, wenn ich an einer anderen Stelle etwas Gutes tue. Oder tun lasse.

Nana Koschnick

Also Kompensation ist natürlich ein guter und richtiger und wichtiger Schritt. Aber da sollte man nicht stehen bleiben. Es kann langfristig nur eine Ergänzung oder auch eine Überbrückung von wirklich nachhaltiger Veränderung sein.

Anna Scholz

Also: Wir haben uns in dieser Folge gefragt, ob das größte Volksfest der Welt mit 6-7 Millionen Besucher*innen pro Jahr es schaffen kann, bis 2028 klimaneutral zu sein. Also in drei Jahren. Und ganz ehrlich: Es wird eng. Sehr eng.

Nana Koschnick

Bislang ist es ja ein Ziel. Ziele können natürlich auch angepasst werden. Das heißt, man wird mit dem Oktoberfest nicht aufhören. Wenn man das Ziel 2028, also sprich in drei Jahren, nicht erreicht hat, gehe ich davon aus, wird die Wiesn trotzdem stattfinden.

Anna Scholz

Es ist also ein bisschen wie das Pariser Klimaabkommen: Man setzt sich ambitionierte Ziele, aber wenn die nicht erreicht werden, gibt es auch keine schwerwiegenden Konsequenzen. Wobei: Die Stadt München hat da womöglich mehr Macht als die UN – wenn sie die denn auch nutzen will. Also sie könnte ja ganz konsequent alle Wirt*innen vom Oktoberfest ausschließen, die 2028 noch keine Klimaneutralität erreicht haben. Ob das aber passiert, wenn bis dahin weiterhin nur eine Handvoll Festzelte wirklich klimaneutral sind? Das kann ich mir nur schwer vorstellen. Und so bleibt vorerst nur: sich an die eigene Nase zu fassen.

Nana Koschnick

Also die Macht, die ich selber habe, die Entscheidungsfreiheit, die ich selber habe und damit auch die Möglichkeit, selbst meinen Beitrag zu leisten, darf man nicht unterschätzen. Also es kann einerseits schon immer ein Umlenken stattfinden. Also eins, das durch die Politik und sozusagen von oben stattfindet, aber es muss auch einfach ein Umdenken bei jedem Einzelnen stattfinden. Das heißt, ich kann einfach – und auch nicht nur während der zwei Wochen Wiesn, sondern jeden Tag – schauen, was kann ich machen, in meinem Alltag, worauf greife ich zurück, um zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen. Und das heißt natürlich, bio- und regionale vegetarische Kost bevorzugen zu wollen, zu müssen, und zu überlegen, wie ich zur Wiesn hinkomme.

Anna Scholz

Das war es mit dieser zweiten Staffel "Zeitschleifen". Wir hoffen, sie hat euch gefallen und ihr habt etwas Neues über das Oktoberfest lernen können. Wir sind 2026 mit einer weiteren Staffel zurück, also vergesst nicht, den Podcast zu abonnieren, dann kriegt ihr automatisch die neuen Folgen angezeigt. Wenn euch diese Folge und diese Staffel gefallen hat, freuen wir uns außerdem, wenn ihr den Podcast bewertet und weiterempfehlt.

Bis zum nächsten Oktoberfest 2026 dauert’s zwar noch ein bisschen, aber wenn ihr Lust habt auf Themen, die München das ganze Jahr über bewegen, dann haben wir einen Tipp für euch: Schaut mal in der Ausstellung "What the City. Perspektiven unserer Stadt" des Münchner Stadtmuseums im historischen Zeughaus vorbei. Da geht’s zum Beispiel um Nachhaltigkeit, um Kunst – oder auch um die Pop-Kultur hier in München. Alle Infos und den Link zur Ausstellung findet ihr wie immer in den Shownotes.

"Zeitschleifen. Wiesn Rewind" ist ein Podcast des Münchner Stadtmuseums. Audioproduktion: Sarah Weiher und Johannes Weber von Mucks Audio. Autorin dieser Folge bin ich, Anna Scholz, Redaktion Carolina Torres sowie das Team Kommunikation vom Münchner Stadtmuseum.

Natürlich gibt es auch heute noch einen abschließenden Fun Fact. Und weil wir damit ja eine ganze Staffel abschließen, habe ich euch ein ganz besonderes Schmankerl mitgebracht. Literally, also irgendwie. Es geht nämlich um die Entstehungsgeschichte des Hendl-Hypes auf der Wiesn.

Nana Koschnick

Also 1999 fanden auf der Theresienwiese umfangreiche Erdbewegungen statt. Es wurden Kriegslasten beseitigt und dabei wurden Scherben von Kochelbräubierkrügen und auch Hendlknochen gefunden und zu uns ins Museum gebracht. Und diese Kochelbräu-Bierkrugscherben, die konnten eben auf die Zeit um 1900 datiert werden. Das sind so unsere ersten originalen Hendlknochen, die wir finden konnten und datieren konnten.

Anna Scholz

Der Zeitraum passt ja in etwa dazu, dass die erste Hendlbraterei offiziell 1885 auf der Wiesn eröffnet hat.

Das heißt ihr habt Hendl-Fossilien im Museum?

Nana Koschnick

Wir haben Hendl-Fossilien auch im Museum, nicht sehr zahlreich, aber ein paar.

Das kann doch locker mit dem T-Rex im Naturkundemuseum Berlin mithalten, oder? Angucken könnt ihr euch die Hendl-Fossilien in der Sammlung Online des Münchner Stadtmuseums. Link – natürlich – in den Shownotes.

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