Witzig! Spaß, Humor und der kontrollierte Kontrollverlust auf dem Oktoberfest

Shownotes

Ob Geisterbahn fahren, Zuckerwatte essen oder im Bierzelt tanzen – die Wiesn soll vor allen Dingen Spaß machen. Das war früher so und ist es auch heute noch. Aber was bringt uns eigentlich zum Lachen – und ist das für alle das Gleiche?

Zusammen mit Mascha Erbelding, Leitung der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei, tauchen wir ein in die faszinierende Welt der historischen Wiesn-Attraktionen – vom legendären Schichtl-Zaubertheater über das rasante Teufelsrad bis hin zu originellen Scherzfotografien, die schon im 19. Jahrhundert für Lacher sorgten. Die Folge beleuchtet, wie sich Attraktionen und Unterhaltung in der langen Geschichte des Oktoberfestes verändert haben – aber auch, welche Traditionen bis heute geblieben sind. Dabei kommt die Frage auf: Was ist witzig und wo hört der Spaß auf? Prof. Dr. Uwe Wirth erklärt, wie Humor funktioniert und warum auf der Wiesn andere Regeln gelten als im Alltag.

Inhalt:

[00:00] Einleitung

[03:12] Reise in die Vergangenheit, Interview mit Mascha Erbelding, Leitung der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums

[13:03] Zurück in die Gegenwart, Interview mit Prof. Dr. Uwe Wirth, Professor für Neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen

[19:22] Zusammenfassung und Ausblick

[23:24] Goodie

Abbildungen/Verweise:

Postkarte "Gruss vom Oktoberfest" mit Toboggan, 1909, Münchner Stadtmuseum

Paul Otto Engelhard, Ottmar Zieher, Postkarte "Das Teufelsrad. Gruß vom Oktoberfest", um 1910, Münchner Stadtmuseum

Mechanische Schießscheibe "Dukatenscheißer", um 1900, Münchner Stadtmuseum

Weiterführende Ressourcen:

"Jedes Bild ein Treffer! Fotografie auf dem Jahrmarkt" - Eine Ausstellung des Münchner Stadtmuseums. 20.09.2025 – 05.10.2025 im Museumszelt auf der Oiden Wiesn, Oktoberfest München

Quellen:

https://www.youtube.com/watch?v=4ngKZ8WpnY0

https://www.youtube.com/watch?v=azrG3IKG57c

Kontaktinformationen:

Die Redaktion ist zu erreichen unter presse.stadtmuseum@muenchen.de.

Credits:

Recherche und Skript: Carolina Torres

Redaktion: Carolina Torres, Carol Pfeufer, Maria Tischner, Ulla Hoering, Lena Hensel

Produktion: Anna Scholz, Carolina Torres, Sarah-Laurien Weiher, Johannes Weber

Host: Anna Scholz

Audio-Produktion: mucks audio (Sarah-Laurien Weiher, Johannes Weber)

Musik: mucks audio (Johannes Weber)

Transkript anzeigen

Anna Scholz, Host

Mascha Erbelding, Leitung der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums

Prof. Dr. Uwe Wirth, Professor für Neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen

verschiedene Stimmen einer Straßenumfrage aus München, Juni 2025

UMFRAGE

"Ich glaube, der Spaß steht im Vordergrund einfach bei der Wiesn. So wie bei jedem Volksfest. Man geht mit einem Lachen eigentlich hin und man mag Spaß haben und das ist das Wichtigste."

Anna Scholz

Spaß. Den haben wir natürlich alle gern. Lachen soll ja auch sehr gesund sein – sogar die "beste Medizin". Und Spaß haben, da sind sich wirklich alle einig, das gehört zur DNA des Oktoberfests. Für die Münchner*innen sieht das so aus:

UMFRAGE

"Früher bin ich sehr gerne Kettenkarussell gefahren oder, was wirklich mein Wahrzeichen war, Rundschaukel."

"Riesenrad fahren."

"Gutes Essen, Brauchtümer, Fahrgeschäfte. Man hat dann alles auf einem Fleck dann mal für die Wochen und das finde ich auch cool."

"Fernab davon bin ich aber auch so ein klassischer Autoscooter, Geisterbahntyp, also man kann, ich bin für alles zu haben, so eine kleine lustige Fahrt mit den richtigen Leuten an der Seite macht immer Spaß."

Anna Scholz

Fehlt in diesen Aufzählungen nicht noch etwas?

UMFRAGE

"Bierzelt fahren, Bier trinken."

Anna Scholz

Na bitte. Ein paar Kontroversen darüber, was Spaß bringt und wo Spaß aber auch aufhört, die gibt es aber doch. In den letzten Jahren wurde zum Beispiel immer wieder darüber diskutiert, ob dieses oder jenes Partylied auf der Wiesn verboten werden sollte. Bei "Layla" und seinen erniedrigenden Beschreibungen von Frauen wurde gegen ein Verbot entschieden. "L’Amour Toujours" dagegen wurde von den Playlisten gestrichen. Das war der Song, zu dem auf Sylt 2024 rassistische Parolen gesungen wurden. Aber schon 2014 erregte eine Schießbude auf der Oidn Wiesn Aufsehen, weil man da auf stereotype Darstellungen von Schwarzen schießen konnte – so wie früher auf der Wiesn üblich, im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Auf der Wiesn wurde aber auch schon damals nicht über alles gelacht. Aber wer entscheidet, was lustig ist, und was nicht? Ist die Wiesn nicht eher ein Ort, an dem gilt: lachen und lachen lassen? Und: Warum sind Lachen und Spaß für uns eigentlich so wichtig?

Wenn sich im Spätsommer die ersten Blätter bunt färben, veranstaltet München das größte Volksfest der Welt – um sich selbst, bayerisches Wir-Gefühl und das Leben zu zelebrieren. Das Oktoberfest ist eine große Gaudi – und schlägt sich gleichzeitig mit dem Klischee herum, einfach nur ein kollektives Besäufnis zu sein. Aber die Wiesn ist mehr als Bier und Brathendl – und genau das wollen wir euch in diesem Podcast zeigen. Sie passt sich dem Zeitgeist an und ist gleichzeitig seit über 200 Jahren eine Insel der Verlässlichkeit und Tradition – und dabei heute so beliebt wie nie. Wie machen die das?

Ich bin Anna Scholz Scholz, Journalistin und Kulturwissenschaftlerin. Und in "Wiesn Rewind", der zweiten Staffel von "Zeitschleifen" geht es um das Oktoberfest bzw. die Wiesn – früher und heute.

Anna Scholz

Spaß war für Wiesn-Besucher*innen vor 200 Jahren genauso wichtig wie heute. Aber fanden wir damals und heute ähnliche Dinge lustig? Dazu reisen wir auf eine Wiesn, weit vor unserer Zeit, zu einem spätsommerlichen Nachmittag in den 1870ern.

Dir steigt ein süßlich-schwerer Duft von gezapftem Bier, gebrannten Mandeln – ja, die gab’s damals auch schon – und Pferdemist in die Nase, der über die Theresienwiese weht. Unter deinen Füßen knirscht es, die Wiese wurde vom Regen und den hunderten und tausenden Besucher*innen zu einer Matschlandschaft zertreten. Die Herbstsonne taucht die vielen Zelte, zwischen denen du umhergehst, in goldenes Licht. Die Schausteller*innen preisen ihre Attraktionen an und versuchen, dich und die anderen Besucher*innen in ihre Buden zu locken. Aus allen Richtungen dringt Stimmengewirr, lautes Lachen, durchmischt mit Akkordeonklängen, Glockengebimmel und dem Kreischen eines mechanischen Papp-Clowns, der an einer Kurbel wackelt und wild den Kopf schüttelt. Du schiebst den schweren Vorhang eines Zeltes zur Seite, hinter dem du ein klackerndes Geräusch hörst. Ein Schnellfotograf lichtet dahinter ein junges Paar vor einer imposanten Alpenlandschaft ab, die im Hintergrund auf einen Vorhang gemalt wurde. Zwischen den Zelten, Fress- und Bierständen marschiert ein kleiner Spielmannszug vorbei: Pauken, Trompeten, ein Dudelsack – und vorneweg ein Junge mit einer Tafel auf dem Rücken auf der steht: "Heute Abend: Illustriertes Schattenspiel – Der Untergang Pompejis".

So oder so ähnlich könnte ein Nachmittag auf der Wiesn im 19. Jahrhundert ausgesehen haben. Unter den Attraktionen gibt es ein paar, die wir damals wie heute auf der Theresienwiese finden. Zum Beispiel das "Zaubertheater" Schichtl, benannt nach der Künstler*innenfamilie. Die hat schon im 19. Jahrhundert mit ihren Aufführungen Oktoberfest-Besucher*innen zum Staunen und Lachen gebracht hat.

Mascha Erbelding, Leitung der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums

Also ich glaube über 150 Jahre ist der Schichtl ja schon auf dem Oktoberfest, das ist ja eine der ältesten Schaustellerdynastien.

Anna Scholz

Das ist Mascha Erbelding Erbelding. Sie ist Leiterin der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums. Und sie hat an der Ausstellung über Fotografie auf dem Jahrmarkt mitgearbeitet, die ihr dieses Jahr im Museumszelt auf der Oidn Wiesn sehen könnt. Aber dazu später mehr, wir bleiben erstmal beim Schichtl.

Mascha Erbelding

Der berühmt geworden oder sprichwörtlich geworden ist der Michael-August Schichtl. Und der war für zwei Dinge berühmt, also das war seine Tätigkeit als Rekommandeur, also draußen bei der Parade und da muss man sich das vorstellen, damals und auch heute noch steht der Schichtel ja draußen und wirbt für sein Geschäft.

Anna Scholz

Allein dem Schichtl dabei zuzusehen, wie er die Menschen in sein Zelt gelockt hat, das soll schon eine Attraktion gewesen sein. Und der zweite Teil seiner Show sind verschiedene Performances, die im Zelt aufgeführt werden.

Mascha Erbelding

Und da hat man dann verschiedene Nummern gesehen und eine Nummer, die tatsächlich bis heute im Programm ist, ist eben diese Enthauptung einer lebendigen Person. Sie ist insofern lustig, als auch da natürlich wieder die Talente des Moderators, des Rekommendeurs irgendwie zum Tragen kommen, also wen wählt er aus, was sagt er über den. Also da lacht man schon mal irgendwie, schon über den Zuschauer.

Anna Scholz

"Gschert", nennt man das in Bayern, wenn man, ich sage mal, nicht so ganz zimperlich mit anderen umgeht – aber auch nicht zu bösartig. "Crowd Work" würde man wohl heute in der Stand-up-Comedy sagen. Und der Reiz dieser Attraktion war für die Zuschauer*innen, dass man halt jederzeit selbst für die nächste Showeinlage ausgewählt werden konnte.

Mascha Erbelding

Und dann kommt eben diese Hinrichtung. Was auch ein verblüffender oder eigentlich erstaunlicher Effekt ist, wo der Schichtl auch nicht verrät, wie es jetzt ganz genau funktioniert. Es sieht wirklich so aus, es würde diese Person geköpft werden und danach kommt sie dann lebendig wieder heraus.

Anna Scholz

Krass, dass diese Nummer schon seit über 150 Jahren Publikum anlockt. Man kennt sie ja heute auch aus dem Zirkus oder aus Zaubershows. Eine andere, sehr alte Attraktion auf der Wiesn ist das Teufelsrad. Das gibt es schon seit 1910.

Mascha Erbelding

In der Mitte gibt es diese Scheibe, eine Drehscheibe, auf die sich Zuschauer setzen können und auch da gibt es wieder den Rekommendeur, der das ganze kommentiert und auch anleitet. Also jetzt alle Mädchen auf die Scheibe. Alle Frauen ab 80 und dann mal gucken, wer kommt. (lacht)

Anna Scholz

Alle, die mitmachen wollen, stürzen sich dann auf diese Scheibe, also einfach eine große, runde Fläche, sie setzen sich in die Mitte, die Erfahrenen verhaken ihre Arme mit ihren Mitfahrer*innen. Und um die Fläche stehen die Zuschauer*innen. In der Online-Sammlung des Münchner Stadtmuseums eine alte Postkarte von etwa 1910 sehen, auf der das Teufelsrad abgebildet ist. Wir verlinken sie euch in den Shownotes.

Mascha Erbelding

und dann fängt diese Scheibe an sich zu drehen und du schaust also von der Tribüne aus eigentlich zu, wie alle da so runter geschleudert werden, was einfach schon mal lustig ist, wie sie sich da so festhalten.

Anna Scholz

Mir wird schon beim Zuhören schwindelig. Aber es kommt noch doller:

Mascha Erbelding

dann kommt so ein Seil zum Einsatz und so eine Art von Medizinball. Also wird wirklich relativ rabiat versucht, die da runterzukriegen, zum Gaudium der Zuschauenden.

Anna Scholz

Ein bisschen weniger wild ging und geht es bei der Scherzfotografie zu. Ihr wisst schon, das sind diese Fotowände mit Löchern, durch die man seinen Kopf durchstecken kann. Oder lustige Hintergründe, vor die man sich stellt. Die gibt’s ja heute auch noch. In der diesjährigen Ausstellung des Münchner Stadtmuseums auf der Oiden Wiesn des Oktoberfestes, könnt ihr vom 20. September bis zum 5. Oktober im Museumszelt eine kleine Ausstellung zur Scherzfotografie anschauen. Die Ausstellung dreht sich außerdem um Ateliers, Fotoautomaten und ums Foto-Schießen.

Mascha Erbelding

Und das ist eine Tradition, die es tatsächlich schon seit dem 19. Jahrhundert gibt. Die Fotografie hat ja ein bisschen auf dem Jahrmarkt angefangen. Und nachdem es dann feste Ateliers eigentlich in allen Städten gab, war das nicht mehr so eine Attraktion und auch nichts mehr so Besonderes. Und deshalb war es für die Fotografen dann interessant etwas Besondereres anzubieten. Und das waren eben diese Scherzfotografien.

Anna Scholz

Ihr kennt vielleicht diese schwarz-weiß-Bilder, auf denen Fotografierte auf Stühlen sitzen und bierernst in die Kamera schauen. Klar, wenn man nur einmal im Jahr ein Foto von sich machen lässt, will man darauf nicht albern aussehen. Aber irgendwann war die Fotografie so weit verbreitet, dass man sich damit auch den ein oder anderen Spaß erlauben durfte.

Mascha Erbelding

Und da haben wir ganz unterschiedliche Motive, manchmal geht es um Beziehungsthemen, also ein Paar im Bett, erotische Anspielungen gibt es auch, also im Waschzuber, aber du stellst dich natürlich eigentlich hochanständig angezogen hinter diese Tafel und dann bist du plötzlich nackert.

Anna Scholz

Damals, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, da war Scherzfotografie noch so ein richtiges Ding und hat den Menschen total viel Spaß gebracht. Man konnte ganz kurz an einem anderen Ort sein, oder in das Leben anderer Menschen schlüpfen. Heute haben diese Fototafeln eher sowas Nostalgisches. Aber es gibt sie noch!

Wir könnten mit diesen historischen Attraktionen noch eine ganze Weile weitermachen. Den Toboggan zum Beispiel gibt es auch schon seit 1933 auf der Wiesn: Da wird man über ein holpriges Laufband und eine Wendeltreppe in einem Turm nach oben befördert und kann von da über eine Rutsche wieder herunterrutschen. Oder Spiegelkabinette mit Zerrspiegeln gibt es damals wie heute. Genauso Wurf- und Schießbuden. Wobei, die sehen heute ganz anders aus.

Mascha Erbelding

Bei den Wurfbuden, da gibt es eben auch welche mit figürlichen Darstellungen, wo man eben auf Köpfe zielt und die abwerfen kann. Also da sind dann Abbildungen von Großkopferten, würde ich sagen, also von Leuten, die irgendwie zu den Reichen gehören oder auch zum Beispiel Politikern oder eben auch, das kann dann auch der Feind sein, also der damaligen Zeit, der Engländer, der Franzos und das gibt eben natürlich auch in der Zeit antisemitische oder rassistische Stereotype, die da abgebildet werden, auch frauenfeindliche.

Anna Scholz

Was man heute zum Glück auch nicht mehr zwischen den Fahrgeschäften auf dem Oktoberfest findet, sind Menschen, die wegen ihrer körperlichen Besonderheiten "ausgestellt" werden. Weil sie zum Beispiel besonders groß, besonders dick oder besonders klein waren.

Mascha Erbelding

Das war eben ein Schaugeschäft, wo man reingehen konnte und dann im Prinzip in eine Miniaturwelt mit sogenannten Liliputanern, also Kleinwüchsigen, besuchen konnte, die teilweise auch artistische Darbietungen gebracht haben. Also das gab es auch eben vorher, also von eben Orchestern oder also musikalischen Nummern über tatsächliche Zirkusartistik.

Anna Scholz

Mindestens bis 1961 waren Shows mit Kleinwüchsigen aber noch Teil des Programms auf der Wiesn.

Mascha Erbelding

Und da waren immer schon auch kleinwüchsige Artisten dabei, die dann mit sogenannten Riesen kombiniert wurden, um eben diesen Kontrast zu machen.

Anna Scholz

Heute wären solche Shows auf der Wiesn undenkbar. Aber auch früher war nicht alles denkbar.

Mascha Erbelding

In unserer Ausstellung zeigen wir auch zum Beispiel eben eine Scherzfotografietafel mit dem Motiv, das heißt Adam und Eva. Da ist viel Nacktheit drauf, aber es ist also gleichzeitig ein Scherzfotografie. Und es ist ja tatsächlich so, so niemand zieht sich aus, sondern man stellt sich nur dahinter und posiert quasi als nackt, ohne nackt zu sein, aber da hatte der Spaß dann eben schon für die bayerische Polizei ein Ende und das wurde eben damals, 1958, konfisziert, weil das nicht mehr lustig war, sondern eben unsittlich.

Anna Scholz

Worüber man lachen "darf" und worüber nicht, das wird also seit jeher diskutiert. Dabei sind ein paar Wiesn-Attraktionen aus dem Programm gefallen, andere haben den Sprung ins Heute geschafft, wie der Schichtl, die Wurfbuden oder das Teufelsrad zum Beispiel. Einige Attraktionen von damals sind auch einfach durch Innovationen verdrängt worden.

Mascha Erbelding

Mehr und mehr sind dann eben diese tollen Fahrgeschäfte auch interessanter geworden. Also da gibt es ja tolle technische Entwicklungen, da gibt's den einen amerikanischen Einfluss und da möchte man Autoscooter fahren oder weiterhin schießen, das gab es auch schon vorher, aber diese Schaubuden verlieren dann Attraktivität.

Anna Scholz

In Teilen amüsieren uns heute auf der Wiesn also noch die gleichen Attraktionen wie früher. Einiges hat sich aber auch verändert. Lasst uns an der Stelle einmal darüber sprechen, wie Humor eigentlich funktioniert, worüber wir lachen – und warum Lachen für uns so wichtig ist. Um das zu beantworten, haben wir einen weiteren Experten eingeladen.

Prof. Dr. Uwe Wirth, Professor für Neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen

Ja, schönen guten Tag. Mein Name ist Uwe Wirth, ich bin Professor für Neuere Deutsche Literatur und Kulturwissenschaft an der Universität Gießen und eines meiner Lieblingsschwerpunktgebiete ist tatsächlich die Komik.

Anna Scholz

Uwe Wirth ist also genau der richtige Mann, um uns zu erklären, warum Spaß für uns so wichtig ist. Hier kommt der erste Grund:

Uwe Wirth

Man entlastet oder kompensiert von einem Druck, also der Druck zum Beispiel, friedlich zu sein oder der Druck, sich zivilisiert zu verhalten und hat hier so eine kleine Auszeit.

Anna Scholz

Spaß haben und Lachen hilft uns also dabei, Alltagsdruck abzubauen.

Uwe Wirth

Also im Grunde ist natürlich ein Großteil unseres Lebens besteht darin, dass wir versuchen, Kontrolle zu gewinnen über unsere Lebenswelt, über das, was wir tun, über die Reaktionen anderer Menschen. Und es gibt eben bestimmte Gelegenheiten des kontrollierten Kontrollverlusts und Feste gehören dazu. Das ist so eine Art Ausnahmezustand in einem, in einer gesellschaftsförmigen Weise, wo man sagt, so und jetzt gelten hier andere Regeln. Also wir dürfen bestimmte Dinge tun oder wir tun bestimmte Dinge, die wir sonst nicht tun.

Anna Scholz

Mit Festen wie der Wiesn haben wir uns also einen Raum geschaffen, in dem ein bisschen andere Regeln gelten – oder vielleicht kann man auch sagen – mehr Regellosigkeit herrscht. Wo wir ein bisschen mehr Grenzen austesten können. Zum Beispiel auch, wenn wir in ein Kettenkarussell steigen oder mit einer Achterbahn einen Looping drehen.

Uwe Wirth

Also das eine ist jetzt das Schwindelgefühl, dass man sagt, da bringt man den Körper in eine Situation, die er eigentlich, für die er nicht gemacht ist.

Anna Scholz

Oder wenn wir in das Teufelsrad klettern, nur um wieder heraus geschleudert zu werden.

Uwe Wirth

Und man macht es trotzdem und sagt, das war jetzt eine Gaudi. Da haben wir jetzt sozusagen, ich habe mich selbst bereit erklärt, mich sozusagen zum Deppen zu machen. Und dann habe ich, über dieses mich selbst zum Deppen machen natürlich auch wieder die Kontrolle über die Situation und sage, ja, zum Glück war es niemand anderes, der mich da reingebracht hat. Ich habe mich selbstbewusst und selbst aus eigener freier Wahl in diese Situation begeben.

Anna Scholz

Kontrollierter Kontrollverlust eben. Man könnte also sagen: Auf dem Oktoberfest erlaubt sich der eine oder die andere noch etwas freier über sich selbst zu lachen. Aber auch über andere. Auf der offiziellen Webseite des Oktoberfests wird das Teufelsrad zum Beispiel als "garantiert nicht politisch korrekt", beschrieben. Denn der Schausteller foppt die Mitfahrenden gerne auch mal wegen ihres Äußeren, ihrer Kleidung, oder ihrer Körperform.

Uwe Wirth

Also der Reiz des politisch nicht korrekten ist natürlich der Reiz von jeder Regelübertretung, die ein ganz wichtiger Punkt für Komik und für Witz ist, dass man auf eine Art und Weise die vermeintlich normal geltenden Gesetze aushebelt. Dass man sich nicht komplett außerhalb der Gesellschaft steht, sondern dass man im Grunde so eine kleine Minisubversion hat, dass man sagt, also diese Regel, ob sie geschrieben oder eine ungeschriebene Regel ist dabei ganz egal, die hebele ich aus.

Anna Scholz

Politisch korrekt sein, das ist der Versuch, diskriminierungsfrei miteinander umzugehen. Das bedeutet aber auch, dass man immer alle Perspektiven immer mitdenken muss. Und das ist natürlich Arbeit. Auf der Wiesn darf man diese Arbeit – ich versuche es mal ganz wertfrei zu sagen – für ein paar Stunden niederlegen ohne sanktioniert zu werden. Es wird mehr toleriert. Und das bringt uns direkt zur zweiten Erklärung aus der Komiktheorie, warum und worüber wir lachen.

Uwe Wirth

Und das zweite ist, dass man tatsächlich sagt, naja, also wir alle haben dieses Problem, dass wir uns manchmal dem Anderen überlegen und manchmal dem Anderen unterlegen fühlen. Und wenn wir uns überlegen fühlen, hat man tatsächlich, und das ist natürlich kein schöner Zug, aber das hat man, diese Überlegenheit, die man lustvoll empfindet. Und dann lacht man über den Anderen, der sich ungeschickt, da haben wir es jetzt, der sich dumm verhält und ich selber bin so klug und kann alles viel besser machen.

Anna Scholz

Humor dreht sich ja oft darum, dass man über andere lacht und sich über sie lustig macht. Und offenbar kompensieren wir damit Überlegenheits- oder Unterlegenheitsgefühle. Wobei man ja sagen muss: So ganz irrelevant ist es ja nicht, wer über wen lacht.

Uwe Wirth

Also ich glaube, es gibt immer diese Tendenz, auch über Leute zu lachen, die schwächer sind als man selbst und das ist aber keine gute Tendenz. Und jeder Mensch, der die in sich verspürt, und ich behaupte jetzt mal, wir alle haben das an der einen oder anderen Stelle, der sollte sich zur Ordnung rufen, sozusagen da. Und gleichzeitig geht es aber nicht. Also das ist eben auch dann das Interessante, dass man, dieser moralische Zeigefinger, den ich jetzt schon wieder ins Spiel gebracht habe, der winkt eben nicht immer, sondern manchmal bricht es aus einem raus.

Anna Scholz

Auf dem Jahrmarkt wird aber nicht nur über Schwächere gelacht, sondern gerne auch über die Mächtigeren, die "Großkopferten", wie Mascha Erbelding vom Münchner Stadtmuseum es vorhin genannt hat. Es wird also nicht nur nach unten, sondern auch nach oben gestichelt. Vielleicht sind gerade Bierzelte oder Schaubuden also Orte, an denen es ein bisschen mehr Akzeptanz für diese menschlichen Tendenzen gibt, mal nach oben und mal nach unten zu treten. Tendenzen, die wir im Alltag zum Wohle des Miteinanders etwas stärker kontrollieren.

Kommen wir jetzt zur letzten Lektion aus der Komiktheorie, die zu erklären versucht, was uns amüsiert.

Uwe Wirth

Und dann gibt es noch so eine dritte Theorie. Die sagt also, ganz allgemein geht es darum, dass man irgendwie merkt, dass etwas nicht passt. Also das ist so eine, man nennt das Inkongruenz und dieses Unpassende, dieses Knirschen, das ist das, was einen erst mal überrascht und das ist dann noch gar nicht tendenziös im Sinne von, dass ein sich überlegen fühlt oder dass man sich, dass wir irgendwelche Hemmungen überwinden. Das ist einfach eine schräge Reibung, deswegen sagen wir auch mal, das kommt mir aber komisch vor. Da stimmt irgendwas nicht mit unserem, überein mit unserem System, wie wir bisher über die Welt, über den anderen oder über uns nachgedacht haben.

Anna Scholz

Nehmen wir etwa Zerrspiegel oder diese Enthauptungen beim Zaubertheater Schichtl: Dort zeigen sich Dinge aus ganz anderen Perspektiven, so funktioniert die Welt eigentlich nicht. Das ist erst mal komisch, kurios, gibt Reibung, und uns das Gefühl: Das gehört so irgendwie nicht – und daran kann man sich belustigen und erfreuen.

Fassen wir das mal zusammen. Die Wiesn ist ein Ort, an dem wir viel, laut und über alles mögliche lachen. Zum einen lachen wir über Kuriositäten: über Reibungen in unserer Wahrnehmung, über verzerrte Spiegelbilder. Zum anderen lachen wir auch viel über uns selbst: erlauben uns in diesem Kontext, ein bisschen die Kontrolle abzugeben, ein bisschen Druck rauszunehmen, wie so eine Art Ventil – und verlieren damit manchmal auch ein bisschen Zivilisiertheit. Bei vielen spielt da sicherlich auch Alkohol eine Rolle, der enthemmt schließlich.

Etwas unzivilisierter wird es auch dann, wenn wir anfangen mit Witzen nach unten und nach oben zu treten. Doch gerade bei diesem Punkt hat sich einiges getan: Kleinwüchsige in Schaubuden oder antisemitische und rassistische Zielscheiben in Wurfbuden ziehen heute eher Diskussionen als Lacher nach sich. Denn diese Grenze des "Lachbaren" wird ständig verhandelt. In den 50ern zum Beispiel, wie wir vorhin gehört haben, war eine Fototafel von Adam und Eva schon too much, weil ihre Körper nur mit einem Feigenblatt bedeckt waren. Heute dagegen gibt es die Datingshow "Naked Attraction" im Fernsehen, bei der man seine Dating-Partner*innen erst einmal nackt kennenlernt. Nacktheit schockt nicht mehr. Dafür sind wir heute viel sensibler, was diskriminierende Darstellungen und Witze angeht. Man hat sich gesamtgesellschaftlich etwas mehr darauf verständigt, dass wir lieber nach oben als nach unten treten wollen. Aber ist es sinnvoll, bestimmte Äußerungen einfach zu verbannen oder zu verbieten, sich über manche Menschen lustig zu machen? Uwe Wirth sagt: Ja.

Uwe Wirth

Aber das Wichtige finde ich, dass man sozusagen da den öffentlichen Raum jetzt sagt, also das machen wir nicht. Ihr könnt euch hier betrinken, ihr könnt euch sozusagen ins Teufelsrad begeben, aber das ist jetzt sozusagen eine Art von Vergnügen, in Anführungszeichen, das ihr euch hier nicht mehr zu Gemüte führen könnt.

Anna Scholz

Mir fällt vor allem auf, wie viele Widersprüchlichkeiten Humor und Spaß beinhaltet. Lachen ist selten nur harmlos. Wo Komik ist, ist immer auch eine gewisse Spannung. Denn worüber wir lachen, sagt oft auch etwas über Macht, Identität und Gruppenzugehörigkeit aus. Gemeinsam Lachen verbindet, ja – aber je nachdem, worüber man lacht, bzw. über wen, kann es auch zu Ausgrenzung führen. Lachen kann also, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Grenzgang sein. Und manchmal, werden Grenzen auch übertreten.

Besonders haarig kann das alles werden, wenn viel Alkohol konsumiert wird. Und an dem Punkt, da waren sich viele Münchner*innen einig, hört der Spaß wirklich auf.

UMFRAGE

"Es ist schwierig bei den Leuten, wenn Alkohol im Spiel ist, da werden dann Grenzen getestet etc."

"Ja, wenn man zu sehr besoffen ist und andere begrapscht oder... Also das finde ich ganz übel."

"Oder wenn es zu exzessiv wird mit Bier trinken. Dann hört Auch der Spaß irgendwann auf."

Anna Scholz

Sowohl beim Humor als auch beim Bier gilt also: Das richtige Maß finden. Beziehungsweise, die richtige Anzahl an Maßn. Got it?

Für heute war es das, in der nächsten Folge beschäftigen wir uns mit der Frage, wie die Wiesn es schafft, so weltoffen zu sein, wo es doch eigentlich ein Fest ist, dass Wir-Gefühl und Tradition feiert.

Wenn euch diese Folge gefallen hat, freuen wir uns, wenn ihr den Podcast abonniert, bewertet und weiterempfehlt. Bilder von früheren Attraktionen auf dem Oktoberfest, darunter auch von Scherzfotografien, findet ihr digital in den Shownotes. Und wenn ihr die Ausstellung zu Fotografie auf dem Jahrmarkt live und in Farbe sehen wollt, könnt ihr das noch bis zum 5. Oktober im Museumszelt auf der Oiden Wiesn tun. Schaut doch mal vorbei!

"Zeitschleifen. Wiesn rewind" ist ein Podcast des Münchner Stadtmuseums. Audioproduktion: Mucks Audio. Autorin dieser Folge ist Carolina Torres, Redaktion bin ich, Anna Scholz Scholz, sowie das Team Kommunikation vom Münchner Stadtmuseum.

Und wie das so üblich ist im Zeitschleifen-Podcast haben wir zum Schluss noch ein kleines Schmankerl für euch. Hier hört ihr nochmal Mascha Erbelding vom Münchner Stadtmuseum:

Mascha Erbelding

Und zwar gab es so eine Mode, so ungefähr von den, ich glaube, 1880er Jahren bis so Anfang des 20. Jahrhunderts. Da gab es komplizierte und sehr, sehr schöne mechanische Schießscheiben. Also du hast auf so eigentlich eine Schießscheibe gezielt und dann wurde eine Mechanik ausgelöst. Und das sind so kurze Geschichten. Und da gibt es eben zum Beispiel, was weiß ich, es gibt einen Dukatenscheißer, der dann anfängt, eben Geld zu kacken.

Anna Scholz

Also über den Dukatenscheißer würde ich mich auch heute noch freuen, wenn er mir auf der Wiesn – oder anderswo – begegnen würde.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.